Zuführtechniker sortiert sich neu
Mit einer neuen ERP-Lösung mehr Transparenz in Produktion, Prozesse und Daten- bestand zu bringen – das ist der familiengeführten Rhein-Nadel Automation GmbH gelungen. Eine gerade entwickelte Cloud-basierte IoT-Box unterstreicht die neu gewonnene Flexibilität und Effizienz des Traditionsunternehmens.
Seit Jahren ist die in Aachen ansässige Rhein-Nadel Automation GmbH (RNA) auf Expansionskurs. Neuen Fertigungsstätten, strategischen Zukäufen inner- und außerhalb Europas sowie der Erschließung neuer Märkte in Ostasien und -europa folgte im Jahr 2013 die Einführung eines neuen ERP-Systems. Christopher Pavel, geschäftsführender Gesellschafter, und Patrick Pirnay, Bereichsleiter IT, verraten, wie es dem familiengeführten Mittelständler gelungen ist, Nummer eins bei automatisierten Zuführsystemen zu werden und diese Position noch auszubauen.
ITM: Herr Pavel, die Rhein-Nadel Automation GmbH versteht sich als Spezialist für Zuführtechnik in der Industrieautomatisierung. Was bedeutet das genau?
Christopher Pavel: Unsere Aufgabe ist, jegliche Art von Teilen, die nachher zu einem Produkt zusammengesetzt werden, in der richtigen Lage und mit der geforderten Menge einem Montageprozess zuzuführen, damit am Ende ein Produkt rauskommen kann. Unsere Anlagen erledigen mit der vom Kunden gewünschten Geschwindigkeit und Menge automatisch das, was früher händisch gemacht wurde. Unsere Kernkompetenz und auch das, was uns vom Wettbewerb unterscheidet, ist, dass wir z.T. sehr komplexe Werkstücke zuführen können. Andere Mitbewerber trauen sich das vielleicht nicht zu. Außerdem sind wir dafür bekannt, die leistungsstärksten und innovativsten Systeme zu bauen.
ITM: Sind es die Materialien, die Prozesse oder ist es die Geschwindigkeit, mit der Sie die Werkstücke zuführen, welche die Konkurrenz vor Probleme stellt?
Pavel: Sowohl als auch. Das ist die Geschwindigkeit, es kann aber auch das Material sein. Und es sind die Geometrie oder der Werkstoff des Werkstücks, die komplex sein können. Wir sind bekannt für hohe Leistung und Innovation. Diese machen sich u.a. an den hohen Leistungen bemerkbar, die vor allem unsere linearen Zuführsysteme bewerkstelligen können und die so kein anderer baut.
ITM: Von welchen Produktionszahlen sprechen wir denn?
Pavel: Für die Firma Tetra Pak haben wir eine Lösung mit mehreren Linien gebaut, die 2.500 Verschlüsse pro Minute zuführen kann. Unser Vorteil ist, dass wir innerhalb der Gruppe auch Kapazitäten verschieben können. Ist ein Werk gerade ausgelastet, kann es einen Auftrag an ein anderes Werk weitergeben, das noch Kapazitäten frei hat. So können wir uns innerhalb der Gruppe gegenseitig helfen und unterstützen.
ITM: Aber jedes Werk ist doch auf eine spezielle Branche ausgerichtet, oder?
Pavel: Grundsätzlich kann jeder in der Gruppe herkömmliche Zuführsysteme bauen. Allerdings ist es schon so, dass jedes Tochterunternehmen bestimmte Branchen vorrangig beliefert. Weil jeder in der RNA-Gruppe eigentlich für seinen eigenen Markt zuständig ist, muss man schauen, um welches System, welche Branche und welche Aufgaben es sich handelt. Beispielsweise ist die Schweizer Dependance ebenso wie wir in Aachen auf Anlagen für die Medizintechnik spezialisiert. Da sind solche Synergien möglich.
ITM: Was macht RNA-Produkte einzigartig?
Pavel: Während wir früher jede Maschine neu aufgebaut haben, ist es uns gerade im Maschinenbau über die letzten Jahre gelungen, viel zu standardisieren. Auch wenn jede Anlage, die wir bauen, eigentlich ein Unikat ist, gestaltet sich z.B. der Unterbau unserer Linearsysteme mittlerweile immer gleich.
ITM: Sie haben also effizientere und flexiblere Anlagen entwickelt?
Pavel: Stimmt. Dadurch, dass wir z.B. den Unterbau standardisiert haben, funktionieren Teile der Anlagen eigentlich wie ein Baukastensystem, die Sortierung bleibt natürlich kundenspezifisch. Das hat uns einen Wettbewerbsvorteil gebracht, weil wir dadurch kosteneffizienter produzieren können und produktiver geworden sind. Um das für den nationalen Markt besser einordnen zu können – allein in Deutschland gibt es über 100 Unternehmen, die Zuführsysteme bauen.
ITM: Und wie viele davon sind in Ihrer Gewichtsklasse?
Pavel: Wir dürfen auf der Basis unserer Unternehmensgröße mit Stolz sagen, dass wir Marktführer sind. Auf Gruppenebene beschäftigt unser größter Mitbewerber ungefähr die Hälfte der Mitarbeiter. In Deutschland gibt es viele kleine Firmen mit 15 bis 50 Personen, die Zuführsysteme bauen. Wir beliefern aber viele dieser Unternehmen mit Komponenten wie Rund- oder Linearantrieben, Steuergeräten sowie Förderbändern. Das macht uns vielleicht auch ein bisschen besonders.
ITM: Was unterscheidet RNA in seiner Ausrichtung von anderen Spezialisten der Zuführtechnik in der Industrieautomatisierung?
Pavel: Anders als die Konkurrenz erhält der Kunde bei uns alles an Zuführtechnik, was es gibt – quasi als "One-Stop-Shop". Zudem sind wir international aufgestellt. Wir sind eine Gruppe von Unternehmen und haben neben dem Hauptwerk hier in Aachen und unserer Tochter PSA in Schwäbisch-Hall drei weitere Außenwerke in Deutschland sowie vier Tochterfirmen in England, Spanien und in der Schweiz – dieses internationale Netzwerk macht uns sicherlich aus. Darüber hinaus haben wir noch Vertreter in jenen Ländern, in denen sich keine eigene Tochterfirma befindet, sodass wir die Kunden international sehr gut bedienen können.
ITM: … womit wir bei den RNA-Geschäftsbereichen der Entwicklung von Systemen und Fertigung von Komponenten sind.
Pavel: Die einzelnen Komponenten, die wir hier in Aachen bauen, liefern wir wie gesagt an Mitbewerber, aber auch an unsere Tochterfirmen, damit diese in ihren Märkten eine eigene Fertigung haben. Sie bauen ihre Zuführsysteme auf Basis der RNA-Komponenten, so wie wir es auch in Aachen machen.
ITM: Die Komponenten sind weltweiter Standard?
Pavel: Das ist richtig. Wir sind mit unseren Komponenten schon seit vielen Jahren Industriestandard und dadurch breit im Markt verstreut. Das heißt aber auch, dass wir hier in Deutschland Komponentenkunden haben, die wir im Projektgeschäft im Maschinenbau teilweise als Wettbewerber wiedertreffen.
ITM: Wir sollten nicht die Software-Entwicklungsabteilung vergessen.
Pavel: Stimmt. Jegliche Anlagen, die programmiert werden, werden durch uns programmiert – bis hin zum Roboter.
ITM: Setzt eine internationale Strategie nicht eine große Nachfrage voraus?
Pavel: Die Nachfrage nach Automatisierungslösungen ist deutschland-, europa- und weltweit groß, genauer gesagt, sie ist über die letzten Jahre immer mehr gewachsen.
ITM: Nicht zuletzt, weil RNA sicherlich für viele Branchen interessant ist.
Pavel: Das lässt sich an unserer Firmenhistorie ablesen. Als sich 1972 die RNA gegründet hat, ist das aus dem Maschinenbau der Nadelproduktion entstanden. Weil man effektiver werden wollte, wurde erkannt, dass diese Technik auch noch für viele andere Branchen interessant sein kann.
ITM: Und es wurde erkannt, dass es mit der Erweiterung des Kundenkreises allein nicht geht.
Pavel: Wir haben die Erfahrung gemacht, dass es ein Vorteil – eigentlich ein Muss – ist, sehr nah am Kunden zu sein. Weil es eben doch komplexe Lösungen sind, die sich zusammen mit dem Kunden besser ausarbeiten lassen.
ITM: Das heißt, Ihre Kunden beeinflussen auch Ihre strategische Ausrichtung?
Pavel: Unsere Kunden und Anforderungen bestimmen natürlich unsere Ausrichtung. Ein Beispiel dafür ist der Trend der flexiblen Zuführsysteme. Bei diesen wandelbaren Lösungen hat der Kunde die Möglichkeit, mehrere Werkstücke mit ein und demselben System zuzuführen.
ITM: Gibt es noch weitere Trends?
Pavel: Wir orientieren uns zudem in Richtung Reproduzierbarkeit und haben uns daher schon vor vielen Jahren mit dem 3D-Druck auseinandergesetzt. Heute ist das bei uns ein Standard. So drucken wir nun viele Bauteile, die wir in den Anlagen verbauen.
ITM: Stellt sich das Unternehmen entsprechend diesen Entwicklungen auf?
Pavel: Viele der Innovationen entstehen bei uns aus der Fertigung heraus. Daher brauchen wir entsprechende Fachkräfte, um die Herausforderungen und Trends in der Zukunft zu meistern. Zudem versuchen wir mithilfe von neuen Technologien uns weiter zu entwickeln und unseren Kunden damit einen Wettbewerbsvorteil zu geben. Ende 2018 hatten wir das Glück, mit der Übernahme des Start-ups Nexolink die Digitalisierung im Unternehmen weiter voran zu treiben.
ITM: So ist RNA über die Jahre gewachsen.
Pavel: 2011 haben wir die PSA in Schwäbisch Hall gegründet. Sie baut ausschließlich pharmazeutische Zuführsysteme und erschließt uns Kunden aus der entsprechenden Verpackungsindustrie in Süddeutschland.
ITM: Herr Pirnay, ein weiterer Garant für den Erfolg ist Ihre Innovationskraft. Erst 2018 haben Sie durch Zukäufe die Grundlagen für IoT-Plattformen geschaffen. Hat sich RNA damit nochmals neu aufgestellt?
Patrick Pirnay: Ich habe schon vor längerer Zeit damit begonnen, mich mit dem Thema "Industrie 4.0" und der Digitalisierung zu beschäftigen. Die Einführung der ams-Lösung 2013, die als erstes ERP-System unsere Prozesse digital abgebildet hat, war nur der Startschuss.
ITM: Herr Pavel, wie wird ein so neues Thema wie "Industrie 4.0" ins Unternehmen transportiert?
Pavel: Zunächst habe ich mich selbst damit auseinandergesetzt. Es folgten zwei Workshops mit dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und dem Werkzeugmaschinenlabor (WZL) der RWTH Aachen. Sie sollten die Produkt- und die Produktionsseite beleuchten. Wir sahen uns an, welche Produkte wir hinsichtlich Industrie 4.0 benötigten, und überlegten, wie wir in der Fertigung vielleicht etwas anders machen können.
ITM: Haben die Workshops konkrete Erkenntnisse bzw. Veränderungen gebracht?
Pavel: Ja, es sind verschiedene Geschäftsmodelle entstanden. Unter anderem haben wir uns dafür entschieden, das Thema "Predictive Maintenance" weiterzuverfolgen.
ITM: Was war die zentrale Frage im Zusammenhang mit der vorausschauenden Wartung?
Pavel: Wie können wir unseren Anlagen Daten entnehmen? Wir verbauen schließlich viel Sensorik in unseren Systemen, die keine Speicherprogrammierbare Steuerung (SPS) haben.
ITM: Wie gingen Sie weiter vor?
Pavel: Wir haben damit begonnen, ein eigenes Programm zu schreiben. Das ist aber sehr aufwendig und ein absolutes Ressourcenthema, weil nur die Elektrokonstruktion es bearbeiten kann – und die ist im Tagesgeschäft stark eingebunden. In dem Zusammenhang stießen wir 2018 auf die Firma Nexolink Solutions.
ITM: Was konnte das Unternehmen Besonderes?
Pavel: Es hat damals eine sogenannte Sensorbox entwickelt, die in Verbindung mit einer eigenen IoT-Plattform stand und auf eine sehr einfache Weise an sensorische Daten von Maschinen oder auch Produkten kam. Die gewonnenen Daten ließen sich dann in der Cloud speichern.
ITM: Wie ging es weiter?
Pavel: Da das Gerät damals zu 85 Prozent fertiggestellt war, haben wir es noch zu Ende entwickelt und ein paar unserer Anforderungen miteinfließen lassen. Als sich dann die Möglichkeit bot, das Unternehmen zu übernehmen, schlugen wir zu.
ITM: Sie sprechen von der IoT-ConnectBox als einem strategischen Zukauf?
Pavel: Absolut. Dieser Zukauf hat uns im Bereich "IoT" sozusagen die Tür geöffnet.
Pirnay: Und er deckte unsere eigenen Bedürfnisse – die Sensordaten unserer Maschinen auslesen zu können – ab. Wir hatten am Markt nichts gefunden, was so einfach und kostengünstig für uns funktioniert.
ITM: Herr Pinay, welchen konkreten Nutzen haben Sie dadurch gewonnen?
Pirnay: Wir können derzeit vor allem die Leistung der Maschinen über einen längeren Zeitraum und rund um die Uhr überwachen und analysieren. Es ist möglich, von den Anlagen einen "Fingerabdruck" zu nehmen, wenn wir sie an den Kunden übergeben.
ITM: Wie muss man sich das vorstellen?
Pirnay: Wenn die Kunden zur Abnahme kommen, können wir die komplette Sensorik visualisieren und darstellen, wie die Maschine bei uns unter bestimmten Parametern, wozu auch Umgebungseinflüsse wie Luftfeuchtigkeit oder Temperatur gehören, gelaufen ist.
ITM: Ist der "Fingerabdruck" einer Anlage auch eine vertragliche Absicherung?
Pirnay: Genau. Wenn die Maschine beim Kunden aufgestellt ist, sich in der Produktionsumgebung die Eigenschaften des Werkstücks oder klimatische Bedingungen ändern, kann das natürlich Auswirkungen auf deren Leistung haben. Über den "Fingerabdruck" erkennt man, an welchen Stellen eingegriffen werden muss.
Pavel: Ein weiterer Vorteil ist, dass sich Aktionen auslösen lassen. Ein einfaches Beispiel: Ist der Schwellenwert eines bestimmten Sensors erreicht, kann automatisch eine Aktion ausgelöst werden, die eine Benachrichtigung per E-Mail verschickt oder einen Webservice aufruft. Der Kunde wird also vorab informiert, bevor eine Anlage erst ausfällt und es kann z.B. automatisch ein Service-Einsatz oder eine Ersatzteilbestellung ausgelöst werden.
ITM: Was gibt es denn noch für relevante Anwendungen im produzierenden Gewerbe?
Pavel: Natürlich ist auch die Fernwartung interessant und für die Kunden ein Thema. Aber man muss wissen, dass wir immer vor der Herausforderung stehen, dass unsere Systeme und Komponenten in eine andere Anlage integriert werden müssen. Das heißt, unsere Kunden sind hauptsächlich Sondermaschinenbauer, die dann an den Endkunden liefern.
ITM: Was bedeutet das in der Konsequenz?
Pavel: Unser Kunde baut also die Linie und kauft bei uns nur die Zuführtechnik ein. Er möchte eigentlich nicht, dass wir auf seine Anlage zugreifen können, weil er Sorge hat, dass wir gegebenenfalls Daten abgreifen. Aber das sehen wir eben jetzt auch als Vorteil von der IoT-ConnectBox.
ITM: Inwiefern?
Pavel: Weil wir nicht ins Netz des Kunden müssen. Wir brauchen weder einen Netz- noch einen Internetzugang zur SPS des Kunden, um an die Daten zu gelangen. Zudem bieten wir die IoT-ConnectBox auch als Komponenten an, wenn der Kunde sie in seinen eigenen Anlagen oder Produkte verbauen möchte. Somit ergeben sich für uns im besten Fall völlig neue Industriebereiche.
Pirnay: Die Box sendet die Daten über das GSM-Netz in die Cloud, sie ist damit vom Kundennetz entkoppelt. Das macht sie für viele Kunden interessant.
ITM: Was unterscheidet die Box hinsichtlich der Datenspeicherung und -verarbeitung von anderen Cloud-Diensten?
Pirnay: Bei IoT-Diensten der Cloud-Anbieter wie Microsoft oder AWS überträgt man die IoT-Daten direkt in die Plattform, wo sie dann verarbeitet werden. Wir verfügen über mehrere Server, zu denen die IoT-ConnectBoxen über eine verschlüsselte Verbindung ihre Daten abliefern. Diese Server stehen zwar im Cloud-Rechenzentrum, sind aber völlig abgekapselte Systeme.
ITM: Das hat welchen Vorteil?
Pirnay: Dass Kunden rund um die Uhr eine Verfügbarkeit und eine einfache Skalierbarkeit haben. Die Box bietet acht analoge und acht digitale Eingänge, sodass man die Daten von bis zu 16 Sensoren abgreifen kann. Das macht sie für viele Kunden interessant.
ITM: Ebenso wie der Preis der Box?
Pavel: Sie kostet unter 500 Euro plus die Monatsgebühren, die bei rund 35 Euro liegen. Das ist ein kostengünstiger, aber auch schneller Einstieg in die Industrie 4.0.
ITM: Nochmal zur Datensicherheit und -speicherung: Wie halten Sie es damit in Ihrem Unternehmen?
Pirnay: Wir betreiben unsere IoT-Plattform in der Cloud und die anderen Systeme lokal. Das hat aber primär nichts mit Sicherheitsgründen zutun. Soweit ich weiß, waren wir eines der ersten mittelständischen Unternehmen in NordrheinWestfalen, die Cloud-Dienste genutzt und Office 365 eingeführt haben. Das war noch zu einem Zeitpunkt, als sich nur Ein-Mann- und Start-up-Betriebe dazu entschlossen haben.
ITM: Ich schließe daraus, dass Sie keine Bedenken gegenüber Cloud-Lösungen haben?
Pirnay: Wir sind mit unserer Kommunikationsinfrastruktur 2013 komplett in die Cloud gegangen, um die Vorteile hinsichtlich Sicherheit und Verfügbarkeit zu nutzen, die wir hier vor Ort nur mit hohem Aufwand gewährleisten können. Die Entscheidung für die Cloud war eine bewusste.
ITM: Sicherheit ist aber nicht nur eine Frage der Datenspeicherung.
Pirnay: Richtig. Der Ort, wo die Daten liegen, spielt für mich daher heute eine untergeordnete Rolle. Es gibt schließlich technische und organisatorische Maßnahmen, die für alle Umgebungen – in der Cloud wie auch im RZ vor Ort – gelten. Gerade das Thema "Mitarbeitersensibilisierung" halte ich für eine wichtige Schutzmaßnahme, die von vielen noch unterschätzt wird.
ITM: Wie sensibilisieren Sie Mitarbeiter?
Pirnay: Es ist schon viel gewonnen, wenn die Notwendigkeit eines sensiblen Umgangs mit Daten nachvollzogen wird. Dabei kann es hilfreich sein, zu verstehen, dass weniger Daten geschützt werden müssen, wenn einfach weniger produziert und die Anzahl der Systeme, in denen Daten erfasst und gespeichert werden, auf das notwendige reduziert werden. Gerade die DatenschutzGrundverordnung (DSGVO) hat das nochmals verstärkt in den Vordergrund gerückt.
ITM: Im Zusammenhang mit der IoT-ConnectBox und bei Produkten und Prozessen haben wir festgestellt, dass es um Datenerhebung und nicht -reduktion geht.
Pirnay: Im Bereich der Maschinendaten halte ich Sparsamkeit für falsch. Ausreichend Rohdaten zu haben und zu bekommen, ist das erste Ziel. Deshalb begannen wir mit der Datenerfassung, ohne konkret zu wissen, wie wir sie zu einem späteren Zeitpunkt auswerten können und ob wir bei jeder unserer Maschinen und Bauteile zu einer Methodik kommen, die Predictive Maintenance wirklich gewährleistet.
ITM: Neu aufgestellt hat sich RNA auch mit einem ERP-System. Im Jahr 2010 fiel die Entscheidung für dieses Projekt. Auf welcher Ebene im Unternehmen wurde das diskutiert?
Pavel: Mit Herrn Pirnay als Leiter der IT hat die Geschäftsführung ganz klar einen Ansprechpartner und Entscheider für IT-Angelegenheiten. Es kommt auf den Umfang einer Investition an, ob die Geschäftsführung involviert werden muss oder nicht. Unser technischer Geschäftsführer Jack Grevenstein hat dies damals zusammen mit Herrn Pirnay zur Chefsache erklärt.
ITM: Was hat denn die Investition in ein neues ERP-System notwendig gemacht?
Pirnay: Das damalige ERP-System deckte die Prozesse und Anforderungen eines Projekt-/Einzelfertigers nur unzureichend ab. Daher entwickelte sich im Laufe der Zeit eine sehr komplexe und gewachsene Struktur. Die Schnittstellen vom ERP zu den verschiedenen Expertensystemen waren nur teilautomatisiert und die Datenübergabe erforderte einen hohen Aufwand. Ein Berater nannte dieses Konstrukt einmal die "Malediven der Inselsysteme".
ITM: Was haben Sie aus diesem Fehler gelernt?
Pirnay: Dass man nicht anfangen sollte, eine Software zu verbiegen. In dem Moment, wo man das macht, ist die Software nicht mehr so, wie sie vom Hersteller gedacht war – zudem nicht mehr Update- und Releasefähig. Am einfachsten ist es, immer so nah wie möglich am Standard zu bleiben.
ITM: Womit ein ganz entscheidendes Auswahlkriterium einer neuen ERP-Lösung bei RNA feststand. Was gab es noch für Herausforderungen?
Pirnay: Die Herausforderung war es, Inselsysteme bei Stammdaten, Warenwirtschaft, Logistik, Customer Relationship Management, Produktmanagement, Auswertungen etc. abzubilden und miteinander zu verbinden.
ITM: Einen Ihren Anforderungen entsprechen- den Standard haben Sie 2011 gefunden?
Pirnay: Genau. ams konnte sämtliche Expertensysteme ablösen, die wir vorher hatten, etwa einen Variantengenerator und Angebotskonfigurator.
ITM: Warum war das so wichtig für Sie?
Pirnay: Es ist bei unseren Projekten essenziell, weil wir auf einem bei uns erarbeiteten Standard bauen, aber jede Maschine eine Variante ist. Zudem erwartet der Markt heute, dass belastbare Angebote zeitnah erstellt werden.
ITM: Das klingt nach technologischen Beweggründen. Gab es auch wirtschaftliche?
Pirnay: Ja, diese Inseln haben auch eine wirtschaftliche Bedeutung. Für die unterschiedlichen Ressourcen muss bei jedem System Wissen aufgebaut werden. Im konkreten Fall muss der Vertriebsmitarbeiter ein ERP- oder Warenwirtschaftssystem, ein CRM-System und einen Variantenkonfigurator mit verschiedenen Bedienoberflächen und -konzepten beherrschen. Diese Verschränkung zwischen den Systemen und Schnittstellen bedingen Zeit und Aufwand, der zudem bei jedem Update betrachtet werden muss.
ITM: Es geht also um Effizienz.
Pirnay: Genau. Ein Update gesondert zu betrachten, wäre falsch. Man muss immer das komplexe Gesamtprodukt mit all seinen Schnittstellen sowohl händisch als auch automatisiert miteinbeziehen.
ITM: Herr Pirnay, Sie hatten die Projektleitung bei dieser Einführung des ERP-Systems von ams. Haben Sie auch die Auswahl zwischen den Software-Anbietern und z.B. generischen Systemen getroffen?
Pirnay: Bedingt durch die Tragweite und auch Größenordnung dieser Investition, vereinbarte ich mit der Geschäftsleitung, einen Auswahlberater hinzuziehen. Das ebenfalls in Aachen ansässige Unternehmen führte mit dem Recherchewerkzeug IT-Matchmaker ein Tool ein, das – vereinfacht gesagt – nur noch mit unseren Pflichten und Anforderungen "gefüttert" werden musste.
ITM: Sie hatten also nur Vorarbeit zu leisten?
Pirnay: Richtig, wir mussten intern die Prozesse analysieren und uns überlegen, was wir verbessern bzw. verschlanken wollen und was wir für Ziele und Erwartungen in den einzelnen Bereichen haben.
ITM: Wie lief das Auswahlverfahren weiter?
Pirnay: Im Anschluss fanden AnbieterWorkshops statt, bei denen die Top-3-Anbieter, die aus der Marktrecherche hervorgegangen waren, ihre Lösungen bei uns vor Ort mit einem Beispielsatz unserer Echtdaten präsentieren mussten. Die jeweiligen Fachbereiche gaben dann ihre Einschätzungen ab.
ITM: Sie sind bei der Auswahl also auf Nummer sicher gegangen?
Pirnay: Es gab mit ams schon einen Favoriten, dennoch besuchten wir auch dessen Referenzkunden, um von den Erfahrungen aus dem praktischen Einsatz zu lernen.
ITM: ... und die persönliche Ebene wichtig.
Pirnay: Dass die ams-Berater unsere Sprache sprechen. Man kauft das Produkt schließlich mit der Beratung zusammen. Es ist wichtig, sich auszutauschen, wie das Produkt im Unternehmen eingesetzt und wie Prozesse angefasst werden sollen, aber auch, wie der Anbieter seine Lösung entwickeln und umsetzen will.
ITM: Warum ist das so wichtig?
Pirnay: Wir sind zwar Einzel- und Projektfertiger, dennoch laufen Prozesse wie bei uns auch in anderen Unternehmen ab. Gerade weil Maschinenbauer immer glauben, sie seien mit ihren Prozessen und Produkten ein Unikat, braucht man einen SparringsPartner, der genau erkennt, wo man vom Standard abweichen muss. Unser Einführungsberater von ams hatte idealerweise als ehemaliger Konstrukteur auch praktische Erfahrung. Er wusste daher, wie ein Unternehmen wie unseres tickt.
ITM: …und wie er zu handeln hat?
Pirnay: Natürlich. Ursprünglich war geplant, erstmal nur die Warenwirtschaft umzustellen und die anderen Bereiche dann nachzuziehen. Das Customer Relationship Management sowie ein Variantengenerator sollten außen vorgelassen und später per Schnittstellen angebunden werden.
ITM: Das klingt so, als sei es zu Änderungen der Projektplanung gekommen.
Pirnay: Wir haben uns sehr schnell im Projekt für einen Big Bang entschieden, also alle Expertensysteme abzulösen. Neben der Warenwirtschaft, Projektplanung und Finanzbuchhaltung sollten das Controlling integriert werden und diverse Auswertungen möglich sein.
ITM: Was bedeutete das für die Umsetzung?
Pirnay: Es führte dazu, dass die Einführungsphase nicht so kurzgehalten werden konnte, wie sie von ams geplant war. Das hat aber nichts damit zu tun, dass ams uns etwas Falsches versprochen hat, sondern damit, dass z.B. ein Variantengenerator zwar eingeplant war, man für die Programmierung allerdings alles zum Produkt, zu dessen Parametern und Abhängigkeiten wissen muss. Diese Regeln kann man also nur selbst aufstellen.
ITM: Was Sie dann auch umsetzten.
Pirnay: Unser technischer Geschäftsführer und seine Assistentin stellten gemeinsam sowohl den kompletten Produkt- als auch Variantengenerator auf.
Pavel: Zusätzlich entschlossen wir uns dazu, unsere kompletten Stammdaten zu harmonisieren: die der Kunden, Lieferanten, Artikel und Stücklisten. Wir haben also alles überarbeitet, um eine saubere Datenbasis zu bekommen.
ITM: Die Ihnen was genau als Mehrwert bietet?
Pirnay: Das ERP-System von ams ermöglicht uns damit das Suchen und Finden von Artikeln intuitiv und aus unterschiedlichen Sichtweisen.
ITM: Wenn Sie unter die angesprochenen Herausforderungen an die Software und die Projektziele einen Strich ziehen, was kommt dabei heraus?
Pirnay: Wir haben durch das neue System eine wesentlich höhere Transparenz im gesamten Unternehmen. Das gilt sowohl für die Daten als auch für die Prozesse. Durch den hohen Grad der Automatisierung sparen wir enorm viel Zeit, bei vormals aufwendigen Aufgaben, beispielweise beim Erstellen der Maschinendokumentation.
ITM: Welchen Vorteil sehen Sie darin?
Pirnay: Mitarbeiter erhalten eine Sicht in andere Bereiche. Ein Prozess ist niemals abgekapselt, sondern hat immer vor- und nachgelagerte Abläufe. Erst wenn ich eine Sicht auf die Daten und Prozesse des anderen habe, also weiß, was an Input aus einer vorgelagerten Abteilung kommt und was von meinem Output abhängt, kann ich meine Arbeit mit einem anderen Fokus verfolgen.
ITM: Gibt es noch andere Aspekte?
Pirnay: Die neue ams-Version bietet die Möglichkeit, Eingabeformulare oder auch Masken umzustellen, um nur noch das Wesentliche zu präsentieren. Gerade bei neuen Mitarbeitern versprechen wir uns davon, sie noch schneller in Prozesse einbinden zu können. Für die "alten Hasen" ist gerade die Sicht auf das Ganze interessant.
ITM: Wahrscheinlich spielen auch Durchlaufzeiten von Aufträgen eine Rolle?
Pirnay: Ja, gerade im Maschinenbau ist es für Projektverantwortliche wichtig, jederzeit auf dem aktuellen Stand beim Materialfluss, bei Arbeitsabläufen und beim Budget zu sein.
Pavel: Nicht zu vergessen sind die mitlaufende Kalkulation und die Nachkalkulation, die uns am Ende dann nochmals verdeutlichen, wie wirtschaftlich eine Maschine produziert wurde.
ITM: Sie haben das Stichwort gegeben. Wie ist das Projekt denn kalkuliert worden?
Pirnay: ams hat das geplante Budget sogar unterschritten!
ITM: Das wird Sie als Ex-Projektleiter freuen?
Pirnay: Es kommt immer darauf an, wie man ein Projekt sieht. Ich bin nach wie vor Projektleiter, weil nach dem Projekt vor dem Projekt ist. Schließlich sind wir immer noch dabei, den angebotenen Standard in allen Bereichen für uns zu erschließen. Wir nutzen noch keine 100 Prozent. Daher treffen wir uns weiterhin regelmäßig mit dem ams-Berater, um Verbesserungsvorschläge unserer Mitarbeiter umzusetzen.
ITM: Wie sieht die Zusammenarbeit mit ams bei der IoT-Connect-Box aus?
Pirnay: Wir sind gerade dabei, eine zukünftige Partnerschaft zu starten. Die Tinte ist zwar noch nicht trocken, aber wir arbeiten bereits an einem neuen Projekt. Dabei soll ein Taskmanager die Maschinendaten so nutzen können, dass bei Bedarf das Servicesystem benachrichtigt wird.
ITM: Soll der Taskmanager als unternehmensweite Kommunikationsplattform oder eher als Ticketsystem genutzt werden? Pirnay: Das werden wir uns anschauen müssen. Also der Geschmack kommt ja bekanntlich beim Essen, insofern gehen wir da sukzessiv vor.